Blumengebetbuch der Renée de France

Als eines der wertvollsten Stundenbücher des frühen 16. Jahrhunderts sollte es zur Erziehung der jungen Königstochter in religiösen Dingen dienen. Als die Inquisition Renées Bücher verbrannte, blieb es verschont, doch seit 1994 ist die Handschrift nach einem Diebstahl verschwunden.

Fol. 7v/8r: Links eine der schönsten Miniaturen der Handschrift: Das Emmausmahl. Rechts ein Bildnis der jungen Renée de France im Gebet.
Fol. 7v/8r: Links eine der schönsten Miniaturen der Handschrift: Das Emmausmahl. Rechts ein Bildnis der jungen Renée de France im Gebet.

Miniaturien Wie Gold Und Samt

Ein königliches Gebetbuch

Dieses Andachtsbüchlein verbindet ein besonderes Schicksal mit dem bewegten Leben seiner ersten Besitzerin. Das Gebetbuch wurde für Renée de France, die Tochter des französischen Königs Ludwig XII. und der Anne de Bretagne, in Auftrag gegeben – illuminiert in Paris um 1517. Es sollte zur Erziehung der jungen Königstochter in religiösen Dingen dienen. Renée nahm ihr Gebetbuch auch mit nach Ferrara, nachdem sie sich 1528 mit Herzog Ercole II. d’Este vermählt hatte.

Aber schon vor ihrer Hochzeit hatte sich Renée für den zu dieser Zeit aufkommenden Protestantismus interessiert. Aufgrund ihrer Verbindungen zu den Hugenotten und Calvinisten, denen sie am Hofe Ferraras Zuflucht gewährte, wurden schließlich um 1554 alle ihre Bücher, die als häretisch galten, von den Inquisitoren verbrannt. Nur einige wenige, die als katholisch galten, wurden gerettet – unter ihnen auch unser Blumengebetbuch.

Nach dem Tode ihres Gemahls, des Herzogs, verließ Renée 1560 Ferrara wieder, um sich auf Schloss Montargis in Frankreich zurückzuziehen. Aus noch heute unbekannten Gründen musste sie ihr kleines Gebetbuch jedoch in Italien zurücklassen. Es blieb noch bis in die ersten Jahre des 18. Jahrhunderts in der Bibliothek der Este.

Mysteriöse Geschichte einer Handschrift

Zu diesem Zeitpunkt verschwand die Handschrift auf geheimnisvolle und ungeklärte Weise, um erst 1780 unter mysteriösen Umständen wieder aufzutauchen, als sie der Bibliothekar Tiraboschi wieder in die herzogliche Bibliothek eingliederte, ohne jedoch nähere Angaben über ihre Herkunft zu machen. Die Handschrift blieb darauf in der Bibliothek bis 1994 sicher verwahrt. In diesem Jahr durfte die Abtei von Montecassino das Gebetbuch ausstellen. Dabei wurde die Handschrift jedoch gestohlen und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.

Der Einband im Stil des 18. Jahrhun­derts aus weichem Samt in Altrosa wird von einem mit Silberfäden gestickten Wappen geschmückt. Dieses ist von einem Rahmen, ebenfalls aus Silber­fäden, umgeben. Zwei ele­gante Bänder dienen als Schließen.
Der Einband im Stil des 18. Jahrhun­derts aus weichem Samt in Altrosa wird von einem mit Silberfäden gestickten Wappen geschmückt. Dieses ist von einem Rahmen, ebenfalls aus Silber­fäden, umgeben. Zwei ele­gante Bänder dienen als Schließen.

Durch das Faksimile der Nachwelt erhalten

Glücklicherweise hatte die Leitung der Biblioteca Estense kurz zuvor die kostbare Handschrift vollständig fotographisch dokumentieren lassen. Mit der nun erfolgten Realisierung der Faksimilierung durch den Faksimile Verlag kann das Gebetbuch der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden.

Der Maler der Handschrift

Die Frage nach dem Künstler und die Datierung der Handschrift sind noch nicht gänzlich gelöst. Die französische Herkunft ist aufgrund des Stils und der im letzten Teil des Textes verwendeten Sprache gesichert. Ebenso sicher ist die Zuweisung des Werkes zu ihrer Besitzerin, Renée de France, da sie selbst in den Miniaturen fünfmal abgebildet ist. Dies führt zur Annahme, dass der Maler ein offizieller Künstler des Hofes gewesen sein muss.

Fol. 9v: Bildnis der Renée de France. Die Prinzessin ist auf einer Gebets­bank kniend dar­gestellt, vor ihr ein geöffnetes Buch, Christus segnet sie.
Fol. 9v: Bildnis der Renée de France. Die Prinzessin ist auf einer Gebets­bank kniend dar­gestellt, vor ihr ein geöffnetes Buch, Christus segnet sie.

Ein einzigartiges Geschenk

Besonders die Typologie der andächtigen Gebete und die Abwesenheit protestantischen Gedankengutes verleihen denjenigen Thesen Glaubwürdigkeit, die unsere Handschrift dem Maître de Claude zuweisen und sie auf einen frühen Zeitpunkt um 1517 datieren.

Man darf deshalb annehmen, dass sie Renée anlässlich der Krönung ihrer Schwester Claude zur Königin von Frankreich 1517 als Geschenk überreicht wurde. Wer auch immer letztlich der Maler war – dasBlumengebetbuch der Renée de France stellt zweifellos eines der wertvollsten unter den meisterlich verarbeiteten Stundenbüchern des frühen 16. Jahrhunderts dar. Diese erfreuten sich auch nach der Erfindung des Buchdrucks größter Beliebtheit und bestätigen damit die Dauerhaftigkeit eines künstlerischen Geschmacks, der seine inspirierenden Wurzeln in der Renaissance hatte.

Die Faksimile-Ausgabe

In Zusammenarbeit mit der Biblioteca Estense in Modena wurde das Blumengebetbuch der Renée de France vom Faksimile Verlag als Faksimile im Originalformat von 12,2 x 8,8 cm wiedergegeben. Es umfasst 52 Seiten mit insgesamt 12 reich mit Gold versehenen Miniaturen. Alle Textseiten sind mit feinsten kolorierten und vergoldeten floralen Verzierungen geschmückt. Prachtvolle Blumen aller Arten verwandeln die Handschrift in ein Blumenmeer. 112 bemalte und mit Gold versehene Initialen gliedern den Text in lateinischer und französischer Sprache.

Die Auflage erschien als Koedition in einer Weltauflage von 999 Exemplaren. Die für den deutschsprachigen Raum reservierte Edition des Faksimile Verlags ist auf 666 Exemplare beschränkt. Faksimileband und Kommentarband liegen in einer mit Leder bezogenen und mit Blindprägung versehenen Holzkassette.

Die Faksimile-Edition ist vergriffen.

Der wissenschaftliche Kommentarband

Der wissenschaftliche Kommentarband mit Beiträgen von Dr. Ernesto Milano, Direktor der Biblioteca Estense, und Myra D. Orth ist der Schlüssel zum Verständnis der Handschrift.