Buchaltärchen Philipps des Guten

Die Kombination von Dyptichon und Andachtsbuch ist einzigartig in der Kunstgeschichte. Die Auswahl der Gebetstexte und der Miniaturen des Dyptichons geben dem Werk, das um 1430 entstand, einen privaten Charakter, durch den die Persönlichkeit des Herzogs Philipp der Gute von Burgund lebendig wird.

Das Buchaltärchen mit seinen beiden Diptychonaufsätzen.
Das Buchaltärchen mit seinen beiden Diptychonaufsätzen.

Ein Unikum In Der Kunstgeschicte

Eine Besonderheit der Kunstgeschichte

Zu den einzigartigen Denkmälern der Buchkunst zählt eines der außergewöhnlichsten Dokumente der Buchgeschichte aus dem einstigen Besitz Herzog Philipps des Guten von Burgund (1419-1467).

Die Besonderheit dieses Codex besteht in der Kombination eines Bilddiptychons und eines Buches in demselben Objekt. Auf zeitgenössischen Tafelbildern und Miniaturen wird Philipp als Betender vor einem aufgeschlagenen Buch abgebildet, aber auch vor einem aufgeschlagenen Diptychon.

Mit dem Buchaltärchen besaß Philipp jedoch einen jederzeit und immer für ihn griffbereiten Gegenstand der privaten Andacht, das auf ihn ganz persönlich zugeschnitten war.

Ein Zeugnis fürstlicher Frömmigkeit

Die Fürsten des Spätmittelalters, die nominell über zwei oder mehrere Residenzen verfügten, hielten sich keineswegs immer in ihnen auf. Die reguläre Ausübung des Herrscheramtes machte einen permanenten Wechsel des Aufenthaltsortes erforderlich.

Der Fürst musste möglichst überall in regelmäßigen Abständen Präsenz zeigen. Für die burgundischen Herzöge erwies sich diese prinzipielle Mobilität in besonderem Maße als wichtig, da ihr Reich noch jung und die Herrschaft nicht überall gefestigt war.

Allerdings war das in diesem Fall auch eine besonders anstrengende Aufgabe, denn das burgundische Reich war geographisch zersplittert; außerdem musste der Herrscher oft durch fremdes, vor allem französisches Gebiet reisen, um gewisse Teile seines Reiches zu erreichen.

Natürlich durfte auf allen diesen Reisen nicht auf das Gebet verzichtet werden. Tag für Tag, jahraus, jahrein verrichtete Philipp der Gute auf seinen Reisen seine Andachten vor diesem wunderbaren Unikat.

 

Buchaltärchen Philipps des Guten- Faksimile
Buchaltärchen Philipps des Guten- Faksimile

Die einzigartige Kombination von Buch und Altar

Die Miniaturen des Diptychonaufsatzes, um 1430 entstanden, sind um etwa 20 Jahre älter als die Miniaturen des Buchblocks. Das bedeutet, dass Philipp bei der Anfertigung des Buchaltärchens zwei bereits vorhandene Andachtsbilder hat verwenden lassen. Vermutlich waren sie ihm so wertvoll, dass er Wert darauf legte, sie bei der Rezitation der Gebete, die er ins Andachtsbuch aufnehmen ließ, permanent vor Augen zu haben.

Der private Charakter des Buchaltärchens kommt in den Texten und den Bildern des Codex gleichermaßen zum Ausdruck. Besonders bezeichnend ist das Thema der einen Seite des Diptychons, die Trinität. Der Trinität war das Kloster Champmol geweiht, das gleichzeitig die Grablege der Herzöge von Burgund war.

Auch der Inhalt der Gebetstexte ist charakteristisch für den Herrscher. So beinhaltet die Handschrift auch Gebete an Christus, den Erlöser, Psalmverse aus der Andacht des Bernhard von Clairvaux und die Passionsgeschichte nach Johannes. Natürlich durften auch Gebete und Andachten zu Maria nicht fehlen. Diese erscheint in der Handschrift als sogenannte »Ährenkleidmadonna«. Dieses Symbol steht auch für die Befreiung Jerusalems aus den Händen des Islam.

Die Auswahl besticht weniger durch ihren Umfang als vielmehr durch ihre Beziehung zum Herzog. Somit wird in diesem Werk ein spätmittelalterlicher Fürst, den wir sonst nur aus Geschichtsbüchern kennen, in seiner Persönlichkeit lebendig und greifbar.

Der Bilderschmuck des Buchaltärchens

Beim Öffnen des Buchaltärchens fällt der Blick des Betrachters zunächst auf die beiden Miniaturen des Diptychon-Aufsatzes, der sich aus der Verlängerung der beiden Buchdeckel ergibt. Im Vorderdeckel ist die Trinität zu sehen, im Hinterdeckel wird eine Marienkrönung dargestellt. Beide Darstellungen sind ganz im Stil der Internationalen Gotik gehalten. Die Miniaturen des Buchblocks stammen von einem Maler der nachfolgenden Generation. Besonders die erste Doppelseite liefert reichste Hinweise auf den Benützer des Buchaltärchens. Sie ist übersät mit den Zeichen des Hauses Burgund. Dazu findet man noch das ganz persönliche Wappen Herzog Philipps.

Ebenfalls zu sehen sind zwei Engel, die statt eines Wappens Spruchbänder mit Hinweisen auf die Trinität in Händen halten. Für alle Miniaturen dieses einmaligen Kunstwerks gilt gleichermaßen, dass kein Meister bekannt ist, dem man sie zuordnen könnte.

Ein »Portable« ­– immer dabei

Auf die weitgespannten Reisen des Herzogs verweisen Spuren von Pilgerzeichen auf den ersten und letzten Blättern der Handschrift. Diese Plaketten wurden von den Pilgern zur Erinnerung an eine Wallfahrt seit jeher an Gewand oder Hut genäht; im späteren Mittelalter schließlich wurden die Pilgerzeichen in das dauernd in Verwendung stehende Andachtsbuch eingenäht.

In den Miniaturen des Gebetbuches ist Philipp jedesmal als Betender zu erblicken, sei es allein, sei es zusammen mit seinem Sohn Karl, sei es bei der Gregorsmesse oder bei der Verehrung verschiedener Heiliger.

Die Schrift des Codex ist eine herrliche gotische Textura; Initialen verschiedener Größe und Schlussleisten bilden einen reichen ornamentalen Schmuck. Der Einband ist in Blinddruck mit prachtvollen Ornamenten wie Brokatmustern und Wolkenbändern besetzt. Somit ist das Buchaltärchen zweierlei: ein wundervolles Kunstwerk, das den andächtigen Menschen der göttlichen Gnade anempfehlen sollte, aber auch das persönliche Dokument eines Fürsten, dessen Hof im Abendland seinesgleichen suchte.

 

Fol. 13v: Die Madonna im Ähren­kleid. Eine sechseckige Aedicula beherbergt die Madonna im Ähren­kleid und den in Andacht an seinem Betpult knienden Herzog Philipp von Burgund.
Fol. 13v: Die Madonna im Ähren­kleid. Eine sechseckige Aedicula beherbergt die Madonna im Ähren­kleid und den in Andacht an seinem Betpult knienden Herzog Philipp von Burgund.

Die Faksimile-Edition

Die Faksimile-Edition erschien in einer einmaligen, streng limitierten Auflage von 980 numerierten Exemplaren. Die Edition ist vergriffen.

Die Ausmaße des Einbandes betragen 35,0 x 14,2 cm; die Holzdeckel sind mit braunem Kalbsleder überzogen und mit Blindstempeln verziert. Der Diptychonaufsatz wurde handvergoldet.

Der Buchblock mit einem Umfang von 38 Blättern hat ein Format von 18,5 x 12,7 bis 13,0 cm. Die Blätter sind originalgetreu randbeschnitten. Die beiden Einbanddeckel werden von kräftigen Scharnieren gehalten.

Der Kommentarband

Der wissenschaftliche Kommentarband in deutscher und französischer Sprache führt Sie auf über 200 Seiten in die Welt des Buchaltärchens und seines Besitzers, des burgundischen Herzogs Philipps des Guten, ein.

Folgende Experten haben Beiträge verfasst: Professor Dr. Otto Mazal, Direktor der Handschriften- und Inkunabelsammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien, und Dr. Dagmar Thoss, Österreichische Nationalbibliothek, Wien.